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Aufsuchende Seelsorge im Polizeiwagen

Berlin und Brandenburg

Ein Interview mit dem Polizeiseelsorger und Pfarrer im Land Brandenburg, Sven Täuber, über seine Arbeit mit Polizistinnen und Polizisten.

Was tut ein Polizeiseelsorger im Land Brandenburg eigentlich?

Die Stellenbeschreibung war erfreulich offen. Aufsuchende Seelsorge im weitesten Sinne; wurde mir gesagt. Und von Polizeiseite kam dann: „Na, Überbringen von Todesnachrichten unterrichten“. Erfahrungen in nicht volkskirchlich geprägter Gemeindearbeit, mit Erwachsenenbildung und Notfallseelsorge waren für die Besetzung entscheidend. Es ist wirklich aufsuchende Seelsorge, ich fahre im Jahr ca. 1 x um die Erde wenn ich so viele Polizeiwachen wie möglich, jedenfalls alle wo es nötig ist, besuche. Ich lade mich da selber ein, wenn ich von belastenden Einsätzen oder Todesfällen erfahren habe, und bin dann oft mehrere Wochen mit im alltäglichen Schichtdienst, mit im Streifenwagen.

Da gibt sicherlich viel zu tun an unterschiedlichen Orten?

Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad werde ich jetzt natürlich auch als Freund und Berater gerufen, als 1. Hilfe in seelischen Notlagen. Anlässe sind also oft schwere oder komplizierte Unfälle die als außergewöhnliche Belastungen für die Kollegen wahrgenommen werden, Todesfälle / Suizide, Psychogeschichten, alles was menschlich ist, also auch Alkohol, Mobbing, Disziplinargeschichten, dazu noch ca. 2 Schulungen oder Fortbildungen im Monat in den Dienststellen. Und das für über 8000 Polizisten in ca. 70 Dienststellen.

Sie sind auch an der Ausbildung beteiligt?

Für den Berufsethischen Unterricht habe ich ein eigenes Curriculum entwickelt. Für die 1. Semester beginnend mit dem Begriff der Menschenwürde, der Entwicklung von Recht und Moral, der Entstehung der Menschenrechte, Tugenden, bis zum Thema Berufung als Vorbereitung für die Vereidigung. Dabei bin ich als Christenmensch und Pfarrer erkennbar, ohne in Ideologieverdacht zu geraten. Ich versuche den jungen Polizisten ein Ideal mitzugeben: Wenn Ihr die Menschenwürde und die Grundrechte der Bürger schützt (die im GG weitgehend deckungsgleich mit den Menschenrechten sind,) dann seid ihr als Polizei im Kern eine Menschenrechtsorganisation! Im 3. Semester, bevor die Neuen ins Praktikum gehen, folgen die berufspraktischen Themen: Organisationsethik, Umgang mit: Vorurteilen, Gewalt, Deeskalation, „Einsatzmittel Wort“, Stress, Trauma, Leiden, Sterben, Einsatznachsorge, Todesnachrichten und Notfallseelsorge, Suizid, Alkohol, Schusswaffengebrauch, Opferschutz, Besuch einer JVA.

Die Polizisten sind sehr häufig mit dem Tod konfrontiert. Eigentlich gehört das in die Stellenbeschreibung mit hinein. Braucht es an dieser Stelle die Polizeiseelsorge? (viel häufiger?)

JA, ich bin Gesprächspartner und Berater auf einer anderen Ebene. Jährlich ca. 4000 Verkehrstote, 12000 Suizide, ca. 80000 Alkoholtote und vor allem deren Angehörige und Hinterbliebene, Unfallbeteiligte, Zeugen, zu schreibende Protokolle, Bildanhänge, erste Ermittlungen. Die fassen die schließlich an! Ich sag manchmal: die haben eine Hornhaut auf der Seele, einen phantastisch starken Schutzschild. Dennoch sind sie Menschen, wollen sie sich ihr Menschsein bewahren, also, schon von ihrer Berufung her - Helfer zu sein - müssen sie menschlich berührbar bleiben. Und damit sind sie auch verletzbar. Ja, für diesen Dienst kann man die Polizisten echt bewundern, und sie sind hier jede Hilfe wert. Und sie sind sehr dankbar für die Hilfe der Notfallseelsorger. Zu wissen, da kümmern sich welche um all das Leid Drumherum und ich kann hier konzentriert meine Arbeit machen, ist eine mit größter Dankbarkeit angenommene Hilfe und Entlastung. Noch mal und immer wieder: im Namen der Polizisten: Herzlichen Dank für Eure Hilfe! Der Dienst der NFS ermöglicht es den Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten in professioneller Distanz ihren Dienst zu leisten und - weil sie wissen, da kümmern sich welche - ihre eigene emotionale Beteiligung auf einem beherrschbaren Niveau zu halten. Konkret: An solchen Orten, in solchen Lagen zu arbeiten und dann noch der „Unglücksbote“ für die Angehörigen zu sein und trösten zu wollen, würde die Einsatzkräfte gefährden. Sie sollen auf ihre Art Beistand leisten und zusammen mit den NFS gelingt das zunehmend besser.

Reden die Polizisten lieber mit Ihnen oder mit den Psychologen?

Bei mir ist die Schwellenangst geringer; natürlich erst wenn das Eis gebrochen ist. Wobei ich ein sehr gutes Verhältnis zum Polizeiärztlichen Dienst und den zwei Brandenburger Polizeipsychologen habe. Psychologische Probleme sind ein häufiger Grund für die Polizeidienstuntauglichkeit, was Laufbahnwechsel oder Entlassung bedeuten kann. Und unter dem Vertrauensschutz des Beichtgeheimnisses sind andere Gespräche möglich. Bitte nicht die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Psychologen unterschätzen, wir arbeiten sehr gut zusammen.

Wie groß ist die Suizidgefahr in dieser Berufsgruppe?

Polizei gehört nicht zu den 50 gefährlichsten Berufen. Taxifahren oder Kellnern ist gefährlicher! Polizei gehört aber traditionell zu den psychisch höchst belasteten Berufen. Das wurde auch durch eine aktuelle Studie der Uni Potsdam wieder bestätigt. Nach meiner Beobachtung sind Sterblichkeit und Suizidrate erhöht. Sonst gilt auch hier: Die Ursachen für einen Suizid sind immer vielfältig und diese Berufsgruppe ist mit ihrem Wunsch zu helfen eine positive Vorauswahl.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Notfallseelsorge im Land Brandenburg aus?

Herzlichen Dank für diesen die Polizei unterstützenden, so liebevollen Dienst! Generell ist die Zusammenarbeit gut, regional sicherlich verbesserungsfähig. Oft sind es technische Probleme, etwa durch Neuorganisation der Leitstellen oder seit der letzen Brandenburger Polizeireform die Umstrukturierung der mittleren Führungsebene. Aber dazu gibt es intensive Kontakte. Polizeilicherseits trage ich das Thema in alle Führungsberatungen und Schulungen.

Vielen Dank für das Interview. Die Fragen stellte Pfarrer Justus Fiedler.